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Tag der Menschenrechte - ein Kurzessay

  • Tom Drechsel
  • 10. Dez.
  • 3 Min. Lesezeit


Morgenröte für die Menschenrechte
Morgenröte

Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte, weil genau heute vor 77 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der UN verkündet wurde. Nun ist es aber leider heute, vielleicht sogar wieder mehr denn je, so, dass diese Rechte tagein, tagaus, mit Füßen getreten werden. Insofern handelt es sich vielleicht doch eher um einen Trauer- als einen Gedenktag?

 

Dass die Menschenrechte verletzt werden, muss nicht weiter erläutert werden, man muss nur den Fernseher anschalten oder die Tageszeitung aufschlagen. Warum dies so ist, dafür lassen sich viele Gründe finden. Jedoch scheint mir einer heute trotzdem besonders interessant zu sein, nämlich die Abstraktheit des Begriffes. Man redet von einem hohen, meist sogar dem höchsten und wichtigsten Gut, das eingehalten sein will. Nur daran halten tut sich die Welt nicht wirklich. Daran, so scheint es zumindest mir, hat sich die letzten 77 Jahre kaum etwas verändert.

 

Wie kann man aber dem Begriff der Menschenrechte realitätsnäher, praktischer und damit auch menschennäher und somit für eine größere Zahl von Menschen bedeutender/wichtiger werden lassen? Auf den ersten Blick mag hier eine Denkerin wie Hannah Arendt kaum hilfreich sein, wenn sie die Menschenrechte darin begründet sieht, dass es für Menschen ein Recht gibt, Rechte zu haben. Und dennoch ist sie gerade eben eine Philosophin der Praxis, da sie ihre Theorien und Ansätze nicht fern von jeglicher Realität im Elfenbeinturm entwickelt hat, sondern diese in der Wirklichkeit und Praxis fundiert sind.

 

Mit Hannah Arendt lassen sich, so meine Einschätzung, die Begründung der Menschenrechte gerade aus einer pragmatischen und realitätsnahen Sichtweise verstehen. Einzusehen, warum es die Menschenrechte bedarf, setzt voraus, zu verstehen, was passieren würde, wenn es diese nicht gäbe bzw. zu sehen, was deren Ignoranz bedeutet. Auftauchen würde nämlich die Gegenseite, der Totalitarismus. Hier erscheinen die Menschen nicht mehr in ihrer Einmaligkeit und Singularität, sondern sind nur noch Masse, ein Teil irgendeines Konglomerates von Ununterscheidbaren, wo das Fehlen eines Teiles keine Rolle spielt. Wir sehen das beispielsweise gerade im Russlandkrieg gegen die Ukraine. Hier führt ein Diktator seine eigene Bevölkerung auf die Schlachtbank und massakriert zugleich ein anderes Volk. Fällt ein Soldat bzw. eine Soldatin, wird diese bzw. dieser einfach durch eine andere ersetzt usw. Der Einzelne zählt als Mensch nicht, ist einfach eine Nummer. Aber nicht nur die Soldaten im Krieg sind davon betroffen, sondern die gesamte Bevölkerung eines faschistischen Staates. Was der Einzelne denkt, spielt keine Rolle mehr. Vor allem aber ist auch ein gemeinsames Handeln im Sinne von Aufstand und Protest, Blockaden und Revolten gar nicht mehr möglich. Der Totalitarismus lässt nach Arendt den Gemeinsinn einer Gemeinschaft und damit auch die Urteilskraft verkümmern. Die Menschen werden still. Dabei ist es aber die Urteilskraft, das Abwägen von (guten) Gründen, das Hin- und Herüberlegen, das Voraus- und durchaus auch das Zurückdenken, kurz das gemeinsame Debattieren, dass die Vielfalt der Menschen ausmacht. Wo um ein Gemeinsames gestritten wird, dort entsteht nach Arendt auch das Verbindende, das Netz der Menschen, in dem sie sich entwickeln und entfalten können. Wo das Verbindende ist, dort sind auch die Menschen, dort zeigen sie sich in ihrer Singularität und Einmaligkeit, im Sprechen und Handeln. Dies macht die Welt zu einer bunten und pluralen Welt.

 

Hieraus kann verständlich werden, warum die Menschenrechte und mit Arendt das Recht, Rechte zu haben nichts Abstraktes und Theoretisches ist, sondern ganz konkret für jeden Bedeutung erlangen kann und soll. In einer Welt, wo die Fakten und Tatsachen zu Fakenews diffamiert werden, wo die sozialen Medien bestimmen, was Wahrheit ist, in einer Demokratie, wo die Polizei oder das Militär vermummt Menschen jagen, verhaften und anschließend deportieren, wo Behörden zur persönlichen Bereicherung eines demokratisch gewählten Präsidenten eingesetzt werden, wo nur jemand zählt, der viel Geld hat, da gibt es keine Menschenrechte. Oder anders gesagt, wo also die Urteilskraft abgeschrieben ist, da sie nichts mehr zählt, da geht der Gemeinsinn und damit auch das Verbindende der Menschen verloren. Sprechen und Handeln, im Sinne von Arendt, werden zu Hohlformen, zu leerem Geschwätz und die Einzigartigkeit eines jeden Menschen verschwindet. Die Welt stirbt mit den Menschen.

 

Daher, so möchte ich schließen, ist der Tag der Menschenrechte nicht nur ein Tag für die Armen und Unterdrückten dieser Welt, nein, ein Tag für alle Menschen, damit sie Menschen bleiben können, ganz einfach und praktisch. Kein Trauer- sondern ein Ge-denk-Tag im wahrsten Sinne des Wortes.

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